Der Süden ruft. Die passende Straße hierzu ist auch schnell gefunden und wir sagen auf Wiedersehen Te Anau. Immerhin wollen wir uns fürs erste nach Invercargill durchrollen. Auf dem Weg in diese Großstadt des Südens machen wir Halt im kleinen Örtchen Tuatapere und in Riverton.
Die beschauliche Küstenregion ist ziemlich menschenleer, dafür rau und windgeprüft. Kein Wunder, dass hier auch die Bäume so aussehen, als seien sie vom besten Hair-Stylisten Neuseelands persönlich geglättet worden.
In Tuatapere nächtigen wir auf einem kleinen Campingplatz bei einem älteren Herren. Dieser ist wohl über die Jahre genauso brummig geworden, wie es die See an der Südküste ist, doch macht das letztlich nicht viel aus. Denn da sich sein Mund nur einen Millimeter weit beim Sprechen öffnet, verstehen wir sowieso nur den Preis der Übernachtung und das er den Laden hier alleine schmeißt. Wer hätte das gedacht.
Wir beschließen eine Runde am Strand spazieren zu gehen, bevor es dunkel wird. In unserem Almanach, dem Straßenatlas, entdecken wir, dass es sich bei dem Strandweg um einen Teil eines größeren Weges handelt. Und da wir generell leicht verloren gehen, beschließen wir uns ein paar Broschüren zum Weg zu besorgen. Dabei landen wir dieses Mal nicht in einem DOC Büro, sondern beim Verein des Humpridge Tracks. Ein dicklicher Herr begrüßt uns am Eingang. Es stellt sich heraus, dass er einer der „Gründerväter“ des Wanderweges ist. Von Anfang an war er dabei und hat dabei so einige Meter des Weges mit bloßen Händen dem wilden Untergrund entrissen. Vielleicht hat er aber auch einen Bagger benutzt.
Er erzählt uns, dass man natürlich am Strand spazieren gehen kann. Allerdings will er wissen, ob wir nicht schon einmal über einen längeren Weg nachgedacht hätten. Den Humpridge Track. Drei Tage, 52 Kilometer (plus ein paar Kilometern extra da die Straße unpassierbar ist, plus Rundwege etc.) ein gehöriger Anstieg und … wunderschön. Er ist nicht nur freundlich, geradezu schwärmerisch, sondern einfach überzeugend. Wie? Er zeigt uns Bilder. Das klappt natürlich immer bei einer Landschaft die aussieht, als wäre sie gemalt. Halbe Preise gäbe es außerdem für die Hütten, da es immer noch Winter ist. Dafür bringt man alles was man braucht selbst mit, hat keine Heizung oder ähnliches, Wasserleitungen können schon mal zufrieren und das Wetter ist in diesen Tagen nicht unbedingt verlässlich. Allerdings wären wir die einzigen auf dem Weg und hätten die sonst vollen Schlafsäle für uns. Kein Anderer hat sich auf diesem sonst so beliebten Weg für die kommenden Tage angemeldet.
Wir buchen. Keine Ahnung warum, aber wir haben das Gefühl das einen beschleicht, wenn man gerade vom Marktschreier zurück kommt mit zwei Tüten voller Obst und einigen Topfpflanzen, obwohl man eigentlich nur ein Fischbrötchen kaufen wollte.
Erstaunlicherweise hatte Babs ganz zu Anfang unserer Reise diesen Wanderweg schon einmal im Reiseführer markiert. Dieser Plan wurde jedoch schnell verworfen, nachdem dann zu lesen war, es handele sich um einen schwierigeren Weg der einiges an Fitness und Strapazierfähigkeit voraus setzt. Das erfahre ich jetzt … Aber der Mann war doch so freundlich, der würde uns nie mehr zutrauen als wir tatsächlich können … oder?!
Wir haben zwei Tage Zeit uns vorzubereiten. Zeit zum einkaufen. Trockenessen, Trockenobst, Nüsse und was weiß ich sonst noch. Hauptsache der Name „Trocken“ kommt darin vor. Zwei Tage später sitzen wir in der selben Campingküche beim selben grummeligen Besitzer in Tuatapere. Wir packen alles ein was wichtig sein könnte. Außerhalb der Zivilisation sollte man besser alles dabei haben was man einmal brauchen könnte. Notfallasurüstung, Essen, Gaskocher, Schlafsäcke, diverse Klamotten für alle Lebenslagen, Insektenabwehr und … die Liste ist lang.
Der Morgen beginnt früh. Immerhin müssen wir einige Kilometer extra laufen, denn die Zufahrtsstraße zum Track ist vom Meer weg gespült worden. Das ist aber verständlich, da man die Straße einen Meter neben dem Meer platziert hatte. Alles in allem werden wir wohl so ca. XX Kilometer laufen bzw. 9 bis 10 Stunden. Wir parken den Roten auf einer Wiese am Ende der befahrbaren Stecke und müssen feststellen: Alle guten Parkplätze auf dem Kies sind bereits von einer Gruppe Pfadfinder belegt, die sich bereits auf dem Track befinden und morgen wieder kommen. Die Pfadfindergruppe macht hier übrigens ihre Feuertaufe. Wer diesen Weg übersteht wird aufgenommen. Und so erwächst mein neuer Antrieb für die nächsten drei Tage. Wenn es diese Pfadfinderneulinge schaffen … , schaffen wir das auch (ehrlich, die sind doch noch so jung!). So wohl ist uns nicht beim Gedanken, den Baron hier zu lassen. Der Himmel verspricht nichts Gutes und zum Meer ist es auch nur ein paar Schritte. Er wird schon auf sich aufpassen. Als Wegfahrsperre werden einfach ein paar alte Socken auf dem Lenkrad ausgebreitet.
Die „Extakilometerchen“ sind relativ schnell überwunden. Ein Kiesweg windet sich zum Grundstück eines Bauern und dem Beginn des eigentlichen Weges. Gut gelaunt winken wir Bauers Kühen zu, als wir sie passieren, stets mit dem Gedanken, dass diese Kühe den Weg sicher leichter bewältigen würden als wir.
Unsere ersten Kilometer führen uns am Strand entlang in Richtung unseres heutigen Ziels. Der „Ridge“, dem Bergrücken den wir erklimmen werden. Mehr als 900 Meter Anstieg liegen noch vor uns. Aber daran denken wir jetzt nicht. Unser Riesenrucksack mit gefühlten 100 kg wird uns schon früh genug in die Realität zurück holen.
Schließlich erfüllen die grauen Wattewölkchen ihr Versprechen und regnen auf uns herab. Die Straßen auf dem Weg zum Wald ähneln somit vielmehr kleinen Flüssen als Straßen. Und was machen die Wandermaxe? Die wollen natürlich ihre kleinen schönen Sonntagswanderschuhe nicht nass machen. Ein umständliches probieren am Wegesrand beginnt, welches nicht selten trotzdem im Wasser endet. Einige feuchte Socken später betreten wir den Wald über eine der vielen Drahtseilbrücken des Wanderweges.
Von nun an heißt es Wald, Wald, Wald. Mal auf Brettern und mal entlang der kleinen orangefarbenen Dreiecke.
Durstig ist der Wandersmann und so ist es nicht verwunderlich das ich meinen kleinen blauen drei Liter Wasserschlauch schnell leer getrunken hab. Das Trinken lenkt mich gut von dem ganzen Gelaufe ab und immerhin kommt ja auch laut unserer Karte bald eine Auffüllstation für Trinkwasser. Babs verlässt sich nicht so leichtfertig darauf und hat noch genügend Wasser im Säckle. Wunderbar. Denn die Auffüllstation ist ein rostiger blauer Eimer an einem Strick über einem Fluss in der Tiefe. Was solls, ich schöpfe. Um die Sache spannender zu gestalten, hat der Eimer Löcher. Es wäre aber auch wirklich nicht schön gewesen, so leicht zum Ziel zu gelangen.
Ab jetzt steigt der Weg erheblich an. Wir ziehen uns an Wurzeln in die Höhe, versuchen nicht mit dem Rucksack hängen zu bleiben und sehen ansonsten nur grün. Die meiste Zeit verbringt man damit auf den Boden zu schauen, um den Weg fortzusetzen. Vor lauter Bäumen beginne ich mich zu fragen, wer solche Wanderungen wirklich schön findet. Stunden über Stunden werden die Kilometer erlaufen. Und als Belohnung sieht man Bäume und Boden. Das ist ja ganz schön, nur eben nach 7 Stunden Eintönigkeit will man … mehr. Zum Glück können wir uns nur schlecht verlieren, denn mit unseren blauen Rucksäcken fallen wir hier auf. Ich glaube auch das eine oder andere neidische Eichhörnchen gesehen zu haben.
Und dann ist es soweit. Der Wald tut sich auf und die Sonne zeigt sich wieder. So unerwartet wie dieser Anblick kam (man schaut wie gesagt eben nur die ganze Zeit auf den Boden), umso schöner ist er. Vergessen sind die Strapazen, der Regen, das Dauergrün und der Dauerbodenanblick. Wir sehen zum ersten mal das gesamte Umland, den Kamm den wir morgen entlang hinab steigen werden und … einen Regenbogen.
Und endlich sehen wir auch nach ein paar weiteren Kilometern unsere Hütte für die heutige Nacht. Im Hintergrund zeichnet sich sogar unser Strandweg ab. Und da es noch hell ist und wir ja quasi am Ziel, kommt die Belohnung der Tagesetappe. Ein zusätzlicher einstündiger Rundweg auf der Spitze des Berges. Nach laufen, laufen und nochmals laufen also zur Entspannung etwas … laufen?! Kann es sein, dass die Rumtreiber da irgendetwas falsch machen? Nein, denn hier sehen wir viele der wundervollen Orte, Felsen und kleinen Wasserlöcher, die wir schon von den Bildern aus dem Büro weit weg in Tuatapere kennen.
Unsere Rucksäcke haben wir an der Weggabelung zurück gelassen. Vielleicht kommt ja eine Bergziege und trägt sie schon mal runter zur Hütte. Der Himmel ist grau, durchbrochen von hellen Streifen, ein oft vergebenes, teils erfolgreiches Verlangen der Sonne, zu uns durchzudringen. Es regnet im Tal und auf den umliegenden Bergen und der Wind bläst uns ins Gesicht. Oder ist es Schnee?
Der Weg hat sich gelohnt. Eine völlig andere Welt scheint vor uns aufgegangen zu sein, nach dem langen Waldmarsch des Tages. Vergessen sind die vielen Kilometer und die langen Stunden, zehn waren es heute. Um der Dämmerung zuvor zu kommen, beschließen wir in der Hütte einzukehren. Keinen Augenblick zu früh. Bei betreten der Hütte verfinstert sich der Himmel und ein waschechter Schneesturm bricht los. Es Schneit wie es nur schneien kann, begleitet von mächtigem Pfeifen und Heulen (Babs und meines). Immerhin haben wir den ganzen Komplex für uns. Gemeinschaftsräume, Schlafsäle und Klo. Sonst Haus und Hof duzender Wanderleute.
Ohne Strom, Feuerholz und einem tosenden Schneegestöber vor der Tür will man nicht allzu lang wach bleiben. Also gehen wir zum Essen über. Es gibt Tee, eine Nudelsuppe als Vorspeise, gefolgt von Lammfettuchine im Hauptgang und einen Marsriegel zum Nachtisch. Was will man mehr.
Wir fragen uns, ob der Schneesturm aufhören wird bevor der Schnee meterhoch liegt, die Sicht sich bessern wird und wir morgen früh den Weg ins Tal finden werden. Ich lese noch 5 Minuten während Babs neben mir bereits nur noch einen Zentimeter aus ihrem Schlafsack schaut und gemächlich einschlummert. Der Rest der Nacht ist vom Rattern des Windes untermalt. Um sechs Uhr morgens geht es aus dem Bett. Der Sturm hat sich gelegt und die Sicht klärt auf. Zeit für Kaffee und Haferbrei. Zum Glück haben wir unser Wasser für den Kaffee und unsere Trinkschläuche bereits am Abend aufgefüllt. Die Leitungen sind heute Morgen zugefroren.
Unsere heutige Polarexpedition ist gut ausgestattet. Lange Fleece-Unterwäsche, Fleece-Pullover, die gute lange U-Hose, Merinosöckchen, Handschuhe, Regenhosen und ein Mützchen. Endlich kann einmal all das ausgepackt werden, was sonst nur im Rucksack von A nach B geschleppt wird. Das Endergebnis dieses Anziehmarathons kann sich sehen lassen. Wenn Babs oder ich nun ausrutschen hüpfen wir bestimmt einige Meter weiter wie ein Gummiball.
Wir folgen dem Weg zurück zur Kreuzung, an welcher wir unseren langsamen Abstieg über verschiedene kleinere Berge bis hin zum heutigen Ziel, einem verlassenen Holzfälleraußenposten direkt am Meer, beginnt.
Juhu, wir leben den Kontrast. Denn heute dürfen wir, im Gegensatz zu gestern, die meiste Zeit abwärts laufen. Hat man die Kniegelenke eines achtzigjährigen so wie ich, dann hört man diese nach spätestens 3 Stunden bergab Laufens quietschen wie die Tür des Plumpsklos auf unserem letzten Campingplatz.
Zum Glück habe ich mir ein Hightec-Knieschoner beim freundlichen Pharmazeuten in Invercargill besorgt. Aber wir wollen uns ja nicht beschweren. Irgendjemand hat hier oftmals kilometerlang Treppenstufen verlegt oder aus dem Fels gehauen. So kommen wir zumindest den wirklich steilen Passagen herunter, ohne ins Rollen zu verfallen.
In der Zwischenzeit suchen uns hin und wieder ein paar Schneeflocken heim und wir können einen Blick zurück auf unsere Strandstrecke vom Vortag bzw. die Heimstrecke für morgen sehen.
Pünktlich beim Erreichen der relativ ungeschützten Bergflanke setzt neben dem Schneefall auch wieder unser bester Kamerad ein, der Wind. Auch müssen wir feststellen es gibt sie noch. Die Wegabschnitte ohne irgendetwas. Man nennt es glaube ich ähhh … Natur eben. Genau. Enge Passagen, rutschig, gern mit Hanglage und Ausblick nach unten. Das haben wir uns gewünscht … so ungefähr jedenfalls.
Aber auch das war ein reiner Klax. Jedenfalls für Reinhold Messner. Wir erreichen einen niedrigeren Teil des Waldes. Hier hat es glücklicherweise nicht geschneit. Es gab Regen und nun … Schlamm (und natürlich auch immer noch etwas Regen).
Mitten im Wald finden wir auch Martinas Kurve. Wer hätte diese hier vermutet? Der einzig Wegabschnitt mit Namen. Bitte schön.
Schließlich erreichen wir ein weiteres Highlight unseres Weges. Die Überquerung mehrerer Holzviadukte aus der Zeit des Holzabbaus in dieser Region. Wir dürfen die restaurierten Gestelle belaufen und die Aussicht bewundern. Zwischen den einzelnen Viadukten liegt die alte Schienenstrecke über die sich der Holzzug bewegte. Die nächsten Stunden spielen wir also zweibeinige Eisenbahn. Das höchste Viadukt ist übrigens mehr als 100 Meter hoch. Herrlicher Ausblick. Hatte ich erwähnt, dass ich Höhenangst habe? Während sich Babs lebhaft an die Viadukte erinnert, sehe ich, wenn ich in Gedanken zurück gehe, eigentlich nur ihr Popöchen vor mir. Mein einziger Fixpunkt während der Überquerung.
Wir sind inzwischen schon wieder mehr als acht Stunden unterwegs und haben die niedrigste Ebene erreicht. Auch unser Wald ändert sich mit erreichen der Küstenregion.
So manches Mal wird der Schlamm recht tief. Und um nicht vom Helikopter aus dem Morast gezogen werden zu müssen, klettern wir mehr schlecht als recht am Rand entlang. Als kleine Erkenntnis, diese Wanderung können wir nur jedem empfehlen: Folge nicht, nie, den Fußspuren anderer. Wenn wir das taten, war der Fuß verschwunden. Die Vermutung, dass es dem Vorgänger auch so gegangen sein muss, tröstet nur für einen kleinen Moment. Einfach in die Wasserpfützen laufen. Da ist wenigstens kein Schlamm drin.
Kurz vor erreichen der Küste steht sie da. Unsere Finka, unser Bungalow, unsere Bude mit Betten. Umrandet von lichtem Wald und nicht weit von der hier ursprünglich vorhandenen Holzfällersiedlung. Das alte Schulhaus steht sogar noch. Heute wird allerdings darin nur noch gelernt, wie es ist, in einem Drei-Etagen-Bett mit einer Horde anderer Wanderer zu schlafen, während im „Erdgeschoss“ deftiger Wandermannseintopf gekocht wird.. Allerdings erleben das nur jene, die diesen Weg nebst Übernachtung über das Department Of Conservation gebucht haben. Unser Feriendomizil hat sogar noch einige Gasflaschen gebunkert. Allerdings hinter verschlossenen Türen. „Sie haben den Sparpreis gebucht, also schließen wir alles weg, was die Deluxebucher bekommen“ Was solls, man kennt das ja vielleicht von der Buchung eines „Glückshotels“ in der Türkei.
Und da wir vom Laufen einfach nicht genug bekommen können, gehen wir die Erkundungsrunde. Auf den Spuren der alten Bewohner der Stadt. Weitab der Zivilisation verdienten sich hier erst harte Holzfäller und schließlich ganze Familien ihren Lebensunterhalt. Irgendwann lohnte sich das Geschäft und der Aufwand einfach nicht mehr. Das kleine Holzfällerdorf wurde zur Geisterstadt. Immerhin, eine Aufwertung mit Stadtrecht. Die Gebäude stehen natürlich nicht mehr, denn der Wald erkämpft sich seinen Boden schnell zurück. Aber mit etwas Phantasie sieht man beim betreten der verschiedenen Schauplätze alles wieder vor sich. Bei wenig Phantasie schaut man, so wie ich, einfach auf die Bilder. Wir tummeln uns noch ein wenig am Strand herum, befreit von jeglicher Rucksacklast (Memo an uns: Den Schürfwunden am Becken zu urteilen, haben wir wider Erwarten immer noch nicht die korrekte Einstellung für unseren Bauchgurt gefunden). Die erhofften Delphinschwärme die es hier gibt, bleiben leider heute aus. Schade.
Etwas gebeutelt vom Tag kehren wir wieder im Resort ein. Gerade rechtzeitig für ein opulentes Mal. Heute empfiehlt der Chefkoch … Tee, Suppe, Käsebrot und vegetarische Pasta. Schon wieder Pasta. Ich hatte mich so auf Reis und Curry gefreut. Den ganzen langen Tag kreisten meine Gedanken darum: Essen. Denn daran muss ich denken, wenn ich ewig weit laufen muss. Und dann das. Babs hat aus versehen zweimal Trocken-Nudeln eingepackt. Immerhin, wir haben noch was zum naschen da. Puhhh …
Ein neuer Tag, ein neues Vergnügen. Es ist der dritte und letzte Tag unserer Wanderung. Zu jedermanns Freude hat das Wetter noch einmal marginal gewechselt. Der Regen ist heute gewürzt mit leichtem Hagel und der Wind hat an Intensität zugenommen. Juhu, wir wandern dem Sturm entgegen.
Heute können wir definitiv nicht so viele Bilder machen. Es regnet oft zu sehr oder wir wollen einfach weiter kommen. Durch den starken Wind knarren die Bäume hier im Wald, als ob auch sie die letzten Tage nur Pasta hatten. Zum Glück wissen die grünen Freunde, dass wir auch nur Pasta hatten und lassen uns in Ruhe. Nur unsere Wanderautobahn mochten sie nicht sonderlich und ließen sich einfach darauf fallen.
Der Himmel schaut grau durch die Baumkronen, als wir grußlos an den Bäumen vorbei humpeln. Drei Tage wandern fordern ihren Geschwindigkeitstribut. Ich laufe voran und gebe vor, Babs ein guter Führer durch das glitschige Terrain zu sein. Und das wo ich doch sonst nicht mal nach sechsmaligem passieren ein und derselben Route meinen Weg in der Großstadt finde …
Als ich über eine weiter Pfütze springe, wird plötzlich die Szenerie in blaues Blitzlicht getaucht. Ich drehe mich nach Babs um und vermute schon, sie steht fröhlich hinter mir, um Bilder des Weges zu machen. Doch als ich mich drehe passiert zweierlei. Nummer eins: Ich schaue Babs genau ins Gesicht, denn sie ist wider Erwarten genau hinter mir. Nummer zwei: Es ertönt ein wirklich markerschütternder Knall. Blitz und Donner haben ihren Weg zu uns gefunden. Wir stehen in einer Pfütze, triefend vor Nässe und nicht weit von uns schlug soeben ein Blitz ein. Und während ich mich mit meinem prähistorischen Männerverstand frage, was das alles zu bedeuten hat, zischt auch schon ein zweiter Blitz an mir vorbei. In diesem Falle ist es jedoch Babs. Vergessen sind ihre ein duzend Blasen, ihr Rücken und der Rucksack. Sie legt ein Tempo vor, dem ich nur schwer folgen kann. Und plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Dies muss die geheimnissvolle Kraftreserve sein, die jede Frau im Sommerschlussverkauf freizusetzen vermag. Ich konzentriere mich wieder auf etwas zu Essen und folge ihr.
Das Gewitter schwebt drohend über dem Wald und jede Passage im Freihen lässt uns unwohl fühlen … wenn da nicht noch der lange Strandabschnitt wäre. Zur Aufmunterung haben aber die Damen und Herren des Wanderweges am Rand das ein oder andere treffende Namensschild aufgestellt. Ob wir da irgendetwas deuten sollten? „Breakneck Creek“, der Genicksbruch Bach …
Nach zwei weiteren Stündchen ist soweit. Wir verlassen den Wald, um die Strandpassage zu laufen. Babs signalisiert hier übrigens nicht das es ihr gut geht oder das sie die Wandersmaid mit den zwei schiefen Daumen ist, sondern sie fragt mich nach der Richtung. Ähhmmm, na da will ich mal wieder voran laufen.
Eigentlich sollte gerade Ebbe sein. So steht es zumindest auf unserem Zeitplaner. Doch als wir den Strand betreten, schlagen uns die Wellen freudig entgegen. Wir wir später erfahren werden, hat das Unwetter auf hoher See,, welches gerade vorherrscht, den Wasserstand am Strand auf Höchststand gebracht. Und da hinter dem Strand oft eine Felswand oder undurchdringliche Gebüsche warten, können wir für den meisten Teil der Strecke keinen Umweg finden. Wir rennen einfach. Von Fels zu Fels, von Bucht zu Bucht. Manchmal geht das leicht und es ist nicht so schlimm mit den Wellen und manchmal … manchmal wird man einfach sehr nass. Kann man nach ein paar Stunden Dauerregen noch nasser werden? Ja.
Nach einem erneuten Intermezzo im Wald geht es schließlich ein letztes Mal hinaus zum Strand. Das Gewitter hat uns in Ruhe gelassen und schickt seine traurig grauen Wolken nur langsam hinter uns her. Der Versuch uns am Strand für die Nachwelt zu fotografieren, erfordert einige Versuche und endet oft mit der Flucht in die Büsche.
Schließlich macht auch das letzte Akku schlapp und wir hören auf zu fotografieren. Wir erreichen den Bauernhof ohne Zwischenfälle und durch viele Gedanken an Essen. Die Straßen sind noch mehr überflutet als zwei Tage zuvor, doch muss man jetzt nicht wirklich aufpassen, dass man nasse Füße bekommt. Nur ein oder zwei Stellen sind metertief, wie unser kleines Messstöckchen verrät. Die umlaufen wir natürlich, man muss es ja nicht übertreiben (Würde als Schlagzeile aber vielleicht ankommen „Wanderer bei Wegesüberquerung ertrunken“).
Als wir die „Extrakilometerchen“ antreten (Verflucht seinen die Extrakilometerchen) denken wir zum ersten Mal seit Tagen über den Roten Baron nach. Hat er das Unwetter überstanden? Treibt er womöglich auf dem Meer? Haben die Socken als Wegfahrsperre ausgereicht?
Bei unserer Ankunft, Freude. Der Rote steht noch. Genau da wo wir ihn verlassen hatten. Auf einer alten, nassen Viehwiese. Die Wiese ist einem Schlammbecken gewichen. Verd****. Nach wiedereinmal 9 Stunden laufen, hatten wir schon angeregt über das Gefühl des „im Wagen-Sitzens“ geredet. Pedale treten und fortbewegen. Jetzt heißt es allerdings, frei kommen. Wir benutzen Holz, wir graben, wir stopfen, wir benutzen ausgefeilte Anfahrtaktiken. Das alles nützt uns genau für drei Meter. Weiter kommen wir nämlich nicht. Inzwischen bin ich voller Schlamm und Stroh (nicht fragen woher das Stroh kommt) und Babs hat sich die Seele aus dem Leib geschoben (ja na klar lasse ich gleichberechtigter Weise in unserer Beziehung die Frau schieben …) Der Bauer, der wahrscheinlich seit längerem von seinem Landsitz weiter oben genüsslich zugeschaut hat, fasst sich schließlich ein Herz und kommt mit seinem Allradtruck. Bei seiner Ankunft stellt er richtiger Weise fest: „You’re bloody bogged“ Er grinst. Wir sind schon die Siebten oder Achten, die er diese Woche von dieser Wiese zieht. Ja ja, diese ollen Touristen sage ich.
Es dauert nur einen kurzen Augenblick und wir sind frei. Auf nach Riverton. Duschen, Essen, Sitzen. Und natürlich wird während der Fahrt gejammert. Da haben wir uns schließlich den ganzen Tag drauf gefreut. Diesen Weg machen wir mal wieder … nur nicht in den nächsten, sagen wir fünf bis sechs Jahren. Und endlich stellt sich auch das Gefühl ein, dass uns der freundliche Herr aus dem Büro vor Tage angepriesen hatte: Das Gefühl, etwas geschafft zu haben.
Und nun, da dieser Weg bereits fast acht Monate hinter uns liegt, kann ich nur nochmals reflektieren (oh dieses Wort wollte ich schon immer mal schreiben) und sagen: Es war einer der schönsten Wanderungen, die wir in Neuseeland unternommen haben. Anstrengend, mit dem einen oder anderen Hindernis, jedem möglichen Wetter, aber eben doch … schön. Vielleicht würde mir der junge Mann, der an jenem ersten Tag den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen hat, widersprechen. Doch heute, hier im Trockenen, weit weg von Tuatapere und mit einer Tasse Tee in der Hand, tut er es nicht.
Bis die Tage,
die Rumtreiber